Am 11. Juni 2025 fand im historischen Dachstuhl des Wiener Stephansdoms die Präsentation der Studienergebnisse der Studie „Leidenschaft im Handwerk – der Österreichische Handwerks-Spirit“ statt. Prof. Dr. Reinhard Kainz, selbst Co-Autor der Studie, moderierte die Veranstaltung und spannte in seiner Einführung den Bogen von den Forschungsfragen zur praktischen Relevanz des „Handwerks-Spirit“. Der Hausherr des Domes, Dombaumeister Arch. Dipl. Ing. Wolfgang Zehetner, bekannte sich in seinen Eröffnungsworten ausdrücklich zu den Ergebnissen und unterstrich, er verstehe sich „vor allem als leidenschaftlicher Handwerker“. KommR Mst. Ing. Renate Scheichelbauer-Schuster, Vizepräsidentin des IAGF und ehemalige Spartenobfrau, trug dank ihres Netzwerks und ihrer Überzeugungsarbeit maßgeblich zur Finanzierung der Studie bei und bekräftigte mit den Worten – „Handwerk ist ein gelebter Wertekosmos, der meisterliches Können, soziale Kompetenz und die Verantwortung für Umwelt und kommende Generationen vereint“ – ihr klares Bekenntnis zu den Studienergebnissen. An ihrer Seite bekannte sich auch der neue Spartenobmann Manfred Denk klar zu den Ergebnissen und motivierte die mehr als 70 geladenen Gäste, vor allem Handwerkerinnen und Handwerker, die an den qualitativen Interviews teilgenommen hatten, Ideen und Konzepte zu entwickeln, wie man den „österreichischen Handwerks-Spirit“ in Gesellschaft und Politik besser sichtbar zu machen und wie man diesen stärken kann.
Univ. Prof. Dr. Radwan Kharabsheh eröffnete den inhaltlichen Teil mit einer inspirierenden Einführung in die vielschichtige Rolle der Leidenschaft im Handwerk und zeigte, wie die Bedeutung des Herzens in der Herz–Hand–Hirn-Tangente historisch gesehen wurde. Die visuell eindrucksvolle Ergebnispräsentation von DI Heidrun Bichler-Ripfel, die in einer großformatigen Herz-Illustration mündete, machte die Dimensionen der Leidenschaft – Emotion, Identifikation und Antrieb, verbunden mit einem umfassenden Werteset des Handwerks - erstmals greifbar und ließ die Vielschichtigkeit des österreichischen Handwerks-Spirits konkret sichtbar werden.
Warum Leidenschaft im Handwerk?
Was bedeutet es wirklich, ein leidenschaftlicher Handwerker oder eine leidenschaftliche Handwerkerin zu sein?
Geht es nur um Begeisterung für das Tun, um die Freude am Gestalten und Erschaffen? Oder steckt mehr dahinter – Ausdauer, Geduld, Beharrlichkeit und die Kraft, Rückschläge zu überwinden?
Diese Studie widmet sich der oft romantisierten, aber selten tiefgreifend betrachteten Frage nach der wahren Bedeutung von Leidenschaft im Handwerk.
Sie zeigt, dass Leidenschaft weit über ein emotionales Feuer hinausgeht. Sie ist ein Prozess, der mit wachsendem handwerklichem Können, persönlichen Einstellungen und innerer Überzeugung entsteht – eine Verbindung von Herz, Hand und Hirn, die dem täglichen Tun Sinn verleiht. Leidenschaft wird hier nicht als kurzfristiger Antrieb verstanden, sondern als dauerhafte innere Haltung, die das Handwerk zur Berufung werden lässt. Im Zentrum stehen die Menschen hinter dem Handwerk: ihre Beweggründe, ihr Alltag, ihre Beziehung zu Material, Technik und Kundschaft.

© IAGF
Die Studie fragt, wie sich diese Leidenschaft in Produkten und Dienstleistungen widerspiegelt, ob sie sichtbar wird – oder leise im Hintergrund wirkt und dennoch alles durchdringt. Dabei wird deutlich: Leidenschaft ist kein bloßer Zusatz, sondern ein wesentlicher Bestandteil von Qualität, Identität und Nachhaltigkeit im Handwerk. Sie verbindet Tradition mit Innovation, Regionalität mit Individualität – und verleiht dem Handwerk jene kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung, die weit über das Materielle hinausgeht.
Drei Basisdimensionen der Leidenschaft
Die Analyse von 37 leitfadengestützten Einzelinterviews mit Unternehmer*innen aus 16 unterschiedlichen Handwerksbranchen sowie einer ergänzenden Fokusgruppe verdichtet das umfangreiche Material auf drei grundlegende Dimensionen der Leidenschaft:
Leidenschaft als positive Emotion – Freude und Begeisterung bei der Tätigkeit
Leidenschaft als Bindung an Betrieb und Identität – die enge Verknüpfung von Person und Unternehmen schafft Sinn und Verantwortung.
Leidenschaft als Antrieb – Ausdauer, Entschlossenheit und die Fähigkeit, Hindernisse zu überwinden.
Erweiterte Wertedimensionen – der „Österreichische Handwerks-Spirit“
Weitere Merkmale und Quellen der Leidenschaft konnten in den Interviews konkretisiert werden, die Werte des Handwerks darstellen und eng mit den Basisdimensionen verwoben sind:
Meisterliche Könnerschaft – Perfektion, Materialkenntnis, Nachhaltigkeit.
Innovation durch Kreativität – Neues wagen, alte Techniken veredeln.
Persönliche Beziehung zum Produkt – „Ein Unikat, das eine Geschichte erzählt.“ (Interviewzitat)
Wissensweitergabe und duale Ausbildung – gelebte Lehrlingskultur als Trägerin des Feuers.
Soziale Verantwortung – zu Kund*innen und Mitarbeitenden.
Region, Kultur und Tradition – Verwurzelung als Innovationsquelle.
Nachhaltigkeit und Umweltschutz – Reparierbarkeit und Ressourcenbewusstsein.
Gemeinschaft der Handwerker*innen – Kooperation, gegenseitige Unterstützung.
Selbstständigkeit – Freiheit, Gestaltungsmacht, Verantwortung.
Diese Werte bilden zusammen den in der Studie erstmals skizzierten „Österreichischen Handwerks-Spirit“, ein Modell, das Tradition und Zukunftsfähigkeit miteinander verschränkt.
Relevanz für EU-Projekt und Wirtschaft
Die österreichische Analyse fließt als inhaltliches Fundament in das EU-Vorhaben „Old Labour Virtues for the Working World of Tomorrow“ ein. Auf Basis der qualitativ erhobenen Werte wird derzeit ein digitales Trainingstool entwickelt, das kleinen und mittleren Betrieben helfen soll, Leidenschaft sichtbar zu machen, zu kultivieren und an junge Fachkräfte weiterzugeben.
Über das IAFG - Institut für angewandte Gewerbeforschung
Das Institut für angewandte Gewerbeforschung, kurz IAGF, stellt die Brücke zwischen Gewerbe und Wissenschaft dar. Das IAGF befasst sich mit den Gewerben und Handwerken in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unter besonderer Berücksichtigung ihrer Zukunftsfähigkeit und Weiterentwicklung.
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